1864-Arkivet

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Anna zu Stolberg-Wernigerode

Ledede i krigen 1864 Johanniterordenens frivillige sygepleje i Flensborg.

Priorinde for Bethanien in Berlin. Søster til graf Eberhard zu Stolberg-Wernigerode, som er stormester i Johanniterordenen.


Biographish-Bibliographisches Kirchenlexikon – Band XXIV (2005) Spalten 1417-1426 Autor: Manfred Berger:
STOLBERG-WERNIGERODE, Anna Gräfin zu, Oberin des Diakonissenmutterhauses Bethanien (Berlin), geboren 6. September 1819 im Schloß von Peterswaldau bei Reichenbach (Schlesien), starb 17. Februar 1868 in Berlin. Das Geschlecht der von Stolberg ist eines der ältesten deutschen Grafenhäuser, dessen Ursprung sich im Dunkel der Vorzeit verliert: – “Urkunden des Mittelalters führen dasselbe unter dem Namen Stolberg auf und die Grafschaft Stolberg in Thüringen erscheint als ältestes Stammland des Geschlechts. Heinrich Graf v. Stolberg erscheint zuerst in Urkunden von 1213, 1216, 1222, 1225 und 1231. Der Sohn desselben, Heinrich der Jüngere Graf v. Stolberg, wird in Urkunden von 1231 und 1282 erwähnt. Beide sind die ältesten Mitglieder des altgräfl. v. Stolbergschen Geschlechts, welche diesen Namen führten, Ilger Graf v. Ilfeld aber, welcher 1190 das Kloster Ilfeld mit Stiftungen versah und Ilger Graf v. Beilstein, welcher 1154 urkundlich auftritt, werden für den Vater und Großvater Heinrich des Aelteren Grafen v. Stolberg gehalten” (Knescke 1870, S. 56). Der Besitz der adeligen Familie vermehrte sich durch Kauf, Vermählungen sowie Erbverbindungen und verzweigte sich in mehrere Linien: Stolberg-Stolberg, Stolberg-Wernigerode, Stolberg-Rosla-Ortenberg, Stolberg-Schwarza und in die fürstl. Linie Stolberg-Gedern (vgl. Kneschke 1870, S. 57 ff.). Nach dem Tode des Grafen Heinrich von Wernigerode erhielten die v. Stolbergs 1429 in Folge früherer Erbverträge die Grafschaft Wernigerode und nannten sich fortan Grafen zu Stolberg-Wernigerode. – Anna z. St.-W. war das achte, die fünfte Tochter, von insgesamt zwölf Kindern des Grafen Anton zu St.-W. und seiner Ehefrau Antonia Luise Therese Charlotte, geb. Freiin von der Recke. Zeitlebens verband die Geschwister, die in einer harmonischen und tiefreligiös geprägten familiären Atmosphäre aufwuchsen, ein inniges Verhältnis zueinander. Die Eltern waren um eine umfassende und standesgemäße Erziehung und Bildung ihrer Kinder bemüht, unterstützt von Gouvernanten und Privaterzieher. Vor allem die Mutter, eine ungemein gütige Frau und voller Lebensbejahung, bildete den Mittelpunkt der Familie. Sie war darauf bedacht, ihre Kinder vor allen schädlichen Einflüssen zu bewahren, das Gute und eine tiefe Religiosität in ihnen zu wecken. Arnold Wellmer beschrieb in pathetischen Worten das unbeschwerte Heranwachsen der gräfl. Kinder: – “Still und sanft walteten die Großmutter und die Mutter im eigenen Hause und in den Hütten der Armen – und bald nahmen die aufblühenden Kinder an diesen Segenswerken Theil. Jedes unverdorbene Kind hat ein Herz für Noth und Elend um sich her. Aber dieser fruchtbare Frühlingsboden will gelockert und mit edlen Samenkörnern bestreut sein. – Es war stets eine Auszeichnung und eine Belohnung für das Kind, welches die Mutter mit einem Körbchen zur Sättigung für die Hungrigen, zur Erquickung für die Kranken, zur Bekleidung für die Nackten auf den stillen Liebeswegen begleiten durfte. – So senkte die Mutter die ersten Körnlein der werkthätigen Nächstenliebe in die Herzen ihrer Kinder… und Gott gab Frühregen und Spatregen und warmen Sonnenschein dazu, und die Körner keimten. Fleißig half der Vater begießen und pflegen. Seine edle, milde, ritterliche Persönlichkeit, seine lautere Frömmigkeit, sein kräftiges und selbstloses Handeln, sein unermüdliches Helfen und Wohltun war den Kindern ein leuchtendes Vorbild. – Die Erziehung der Kinder konnte in einem schlichten Bürgerhause kaum einfacher sein. In schmucklosen Leinwandkleidern von einem Webstuhl des Dorfes spielten die Grafenkinder im Sommer fröhlich und harmlos unter den uralten Bäumen des Parks. Leitend – schützend saß die Mutter mit einer Handarbeit dabei… Eine Fahrt mit den Eltern über Land – ein Ausflug ins nahe Eulengebirge oder in den Wald waren für die Kinder hohe Freudenfeste an ihren Geburtstagen” (Wellmer 1870, S. 22 f). – Bedingt durch die beruflichen Versetzungen des Vaters, mußte die gräfl. Familie mehrere Umzüge in Kauf nehmen. Im Jahre 1834 wurde das Familienoberhaupt zum Regierungspräsidenten des “Rheinischen Provinzial-Landtages zu Düsseldorf” ernannt. Viele bedeutende Persönlichkeiten aus Politik, Kirche und Adel verkehrten im gastfreien Hause der gräfl. Familie u. a. der Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie Wilhelm Schadow, der junge begabte Musiker Felix Mendelsohn-Bartholdy sowie der engagierte Erweckungstheologe Theodor Fliedner. Letztgenannter unterstützte 1835 Graf z. St.-W. bei der Errichtung einer Kleinkinderschule in Düsseldorf. Und ein Jahr später rief Theodor Fliedner in Kaiserswerth, mit tatkräftiger Unterstützung des Regierungspräsidenten, das erste Diakonissenmutterhaus ins Leben, “welches seinen Grundzügen nach das Vorbild und die Norm für alle anderen Diakonissenmutterhäuser geworden ist” (Hoppe 1899, S. 26). Die Kaiserswerther Einrichtung, die u. a. christliche Krankenpflegerinnen und “Kinderdiakonissen” ausbildete, wurde getragen vom “Rheinisch-Westfälischen Diakonissenverein”. Präsident des genannten Vereins war Graf Anton z. St.-W., der seine gesamte Familie für das Diakonissenwerk begeisterte: – “Eine hohe Freude war es für unsere Anna, wenn sie mit den Eltern und Geschwistern Kaiserswerth besuchen und an Pastor Fliedners Hand seine jungen Schöpfungen durchwandern durfte. Und diese Freude hatte sie recht oft: führte doch den Präsidenten des Diakonissenvereins nicht nur die Pflicht – nein, noch mehr sein regstes Interesse an dem Gedeihen der Anstalt fast allwöchentlich nach Kaiserswerth. Sie gedieh wunderbar. Aus der kleinen Stube des Gartenhäuschens im Pfarrgarten – dem ersten Asyl für entlassene weibliche Sträflinge – wuchs das Magdalenenstift hervor – aus der Strick – und Kleinkinderschule ein Seminar für Lehrerinnen, daran schloß sich eine Erziehungsanstalt für Waisenmädchen. – Und dies alles sahen die ernsten sinnenden Augen der jungen Gräfin um sich her keimen und grünen und aufwachsen… und staunend sah sie den ‘Diakonissenvater’ immer mehr und mehr Kräfte des weiblichen Geschlechts zum Heil der leidenden Brüder aus dem Schlummer wecken… und die hier empfangenen Eindrücke blieben ihr unvergessen” (Wellmer 1870, S. 48). – Bereits nach drei Jahren wurde Graf Anton z. St.-W. aus Düsseldorf wieder abberufen, zuerst nach Magdeburg (1837-1840), dann nach Berlin. In der Residenzstadt Preußens wurde der Adelige 1842 zum Staatminister und bald darauf zum “Chef des Königl. Hausministeriums”e; ernannt. Dadurch bedingt verkehrte die gräfl. Familie in höchsten Adelskreisen und für die junge Gräfin Anna offenbarte sich eine Welt des Glanzes und der Feste: – “Aber dies reine Mädchenauge ward davon nicht trunken, nicht geblendet. Hatte es doch vom ersten Aufschlag an um sich her ein anderes Leben geschaut, das auf unvergänglichere Dinge gerichtet war, als die schimmernden Schaumblasen dieser Erde. Nur so viel die hohe Stellung des Vaters erforderte, nahmen die Töchter mit der Mutter an dem rauschenden Leben des Hofes und der Residenz Theil… und dabei blieb’s doch immer fein kühl und stille im Herzen… Wie erquicklich waren doch in dem Rauschen des Residenzlebens die schmucklosen, durch Herz und Geist so köstlich geschmückten Abende am Theetische König Friedrich Wilhelms und seiner Elisabeth im engsten Kreise zu Sansouci und Charlottenburg! – Wie segensreich war der tägliche Umgang der Eltern mit dem Prinzen und der Prinzeß Wilhelm auch wieder für unsere Anna!” (Wellmer 1870, S. 54). – Von besonderer Bedeutung war für die junge Grafentochter die Begegnung mit der englischen Quäkerin Elisabeth Fry, die während eines königl. Abendzirkels über die Not und das Elend verwahrloster Kinder, Obdachloser und Gefangener berichtete. Treffsicher bezeichnete Alice Salomon die Engländerin als “Reformatorin des Gefängniswesens”, deren Reformvorschläge im Laufe der Zeit auch in Deutschland verwirklicht wurden. Diese waren: “gewerbliche Beschäftigung der Gefangenen, Bezahlung dieser Arbeit, Belohnung guter Führung der Gefangenen und Unterstellung weiblicher Gefangener unter weibliche Beamte” (Salomon 1901, S. 80). Mit Begeisterung und emotionaler Ergriffenheit las die junge Gräfin die Ansprache “An die Frauen und Jungfrauen Deutschlands”, die Elizabeth Fry auf Wunsch des Freiherrn Christian von Bunsen, einem engen Vertrauten König Friedrich Wilhelm IV., verfaßte. Auch Theodor Fliedner weilte oft am preußischen Hofe, zumal König Friedrich Wilhelm IV. und seine Gemahlin, die vom katholischen zum evangelischen Glauben konvertierte Königin Elisabeth, geb. Prinzessin von Bayern, regen Anteil an der “Diakonissensache” nahmen. Bereits Juni 1843 kamen mit Unterstützung des Königshauses die ersten fünf in Kaiserswerth ausgebildeten Krankenpflegerinnen auf die Station für syphilitisch kranke Frauen an die Charitè. Folgend sorgten die christlich eingestellten Berliner Damen der vornehmen Gesellschaftsschicht dafür, daß die Arbeit der Diakonissen bekannt wurde. Das tiefreligiöse preußische Königspaar befürwortete die Errichtung eines “Zentral-Diakonissenhauses”, verbunden mit einem Normalkrankenhaus. Am 10. Oktober 1847 konnte das “Haus der Barmherzigkeit, geweiht der Krankenpflege und der Ausbildung opferfreudiger Jungfrauen zum demüthigen Dienst am kranken Leibe und an der kranken Seele armer Brüder und Schwestern” (Wellmer 1870, S. 1), seiner Bestimmung übergeben werden. Maria(n)ne von Rantzau, eine liebe Freundin der Eltern von Gräfin Anna, wurde vom König zur Oberin der Diakonissenanstalt, genannt “Bethanien”, berufen: – “Es war eine erhebende Feier – unvergeßlich für unsere Anna. Der König, die Königin und der ganze Hof war zugegen. Fliedner führte 9 von seinen Kaiserswerther Diakonissen und die Oberin Marianne von Rantzau in das neue Haus ein. Schon seit Jahren hatte Marianne von Rantzau sich aus innerem Drange der Krankenpflege und anderen Liebesarbeiten mit reichem Segen hingegeben. Dann hatte sie sich in den Krankenhäusern zu Paris und Kaiserswerth auf ihren neuen Beruf: dem Berliner Diakonissen-Mutterhause eine Vorsteherin zu werden, treu vorbereitet. Auch drei junge Probeschwestern traten zugleich in Bethanien ein. Fliedner schloß die schöne Feier mit einer Ansprache und Gebet. Tief ergriffen sagte der König zu ihm: ‘Heute ist ein Triumphtag der evangelischen Kirche. Möge das in Erfüllung gehen, was der Geist Gottes durch Sie geredet hat!'” (Wellmer 1870, S. 63). – Die jüngsten Töchter des Grafen z. St.-W. weilten oft in der Diakonissenanstalt, dadurch “e;wuchs die erbarmende Liebe zu den Kranken in den Herzen der jungen Gräfinnen” (Wellmer 1870, S. 64). Obwohl sie inzwischen 33 Jahre alt war, durfte Gräfin Anna ohne Zustimmung der Familie eine berufliche Tätigkeit nicht aufnehmen konnte. Während weibliche Angehörige der adeligen Gutsbesitzerfamilien durchaus kranke Familien am Ort besuchten und betreuten, oder sich um deren Kinder kümmerten, galt der dauerhafte soziale berufliche Dienst in einer derartigen gehobenen Stellung als unvorstellbar. Das bedeutete aus damaliger Sicht eine soziale Deklassierung der Familie: mußte es doch in Adelskreisen den fatalen Eindruck erwecken, als ob die Eltern durch ihre Finanzlage nicht im Stande wären, die Zukunft ihrer unverheirateten Tochter zu sichern. Gräfin Anna setze jedoch ihren Wunsch durch und am 18. Oktober 1852 gaben die Eltern ihr die Erlaubnis, in die Genossenschaft der “Bethanienschwestern” einzutreten: – “Kaum eine Quadratruthe Raum darf die junge Probepflegerin Anna, die Tochter eines erlauchten Grafenhauses, das über Quadratmeilen gebietet, ihr eigen – nein, nur ihre Herberge nennen. Und es ist nicht mal ein Kämmerchen – nur eine von den vielen Bettstellen, die sich an den Wänden des großen Probesaals hinziehen. Weiße Gardinen umschließen das kleine Reich, das kaum Platz hat für eine fichtene Bettstelle mit grün – und weißgestreiften Bezügen, einen Stuhl und einen Tisch. Hier schläft die Probemeisterin mit den Probeschwestern, denen sie Mutter und Leiterin beim Lernen der Krankenpflege ist. Hier schläft die hochgeborene Gräfin neben der Tochter des armen Taglöhners; hier herrscht vollste Gleichheit – in Christo!” (Wellmer 1870, S. 74). – Nach einjähriger Probezeit wurde Gräfin Anna als Diakonisse eingesegnet. Bald darauf wurde sie von der schwer erkrankten Oberin zu ihrer Stellvertreterin bestimmt. Als Maria(n)ne von Rantzau am 5. Januar 1855 starb, wählte das Kuratorium einstimmig Schwester Anna zur neuen Oberin. Ihre feierlich Amtseinführung erfolgte am 2. Februar 1855 durch den Oberhof- und Domprediger Karl Wilhelm Moritz Snethlage. Auch König Friedrich Wilhelm IV. und Königin Elisabeth waren anwesend. Unter Oberin z. St.-W., von den Mitschwestern Mutter genannt, erblühte die Diakonissenanstalt nach außen wie nach innen: – “Als sie ihr Amt antrat, hatte Bethanien kaum 50 Schwestern – und jetzt (im Jahre 1870; M. B.) arbeiten über 150 Diakonissen und Probeschwestern im Hause und in den Töchterhäusern. Und alle, alle wandten sich bei einer Frage des Gewissens oder des äußeren Amtes stets vertrauensvoll an ihre ‘liebe Mutter!'”. Vor 13 Jahren zählte Bethanien nur zwei auswärtige Töchterhäuser mit 4 Schwestern: das Mariannenstift bei Kreppelhof und das Krankenhaus zu Potsdam. Heute gehören zu Bethanien 24 Töchterhäuser mit 74 auswärtigen Schwestern – und alle hat die Oberin selber in ihre neue Heimat eingeführt und ihnen bei Einrichtung des neuen Hauses arbeitend geholfen. Dabei wurde dann ihr seltenes praktisches Organisationstalent, besonders in den kleinen Dingen, jedes Mal wieder so recht deutlich, wenn sie schnell entschlossen überall Hand anlegte. Eine besonders große Freude war es ihr, als sie zwei Diakonissen nach ihrem Geburtsorte Peterswaldau in das neue Krankenhaus führen durfte, das ihr Vetter Graf Friedrich zu Stolberg… gegründet hatte (Wellmer 1870, S. 85 f). – Während die Vorgängerin von z. St.-W., Maria(n)ne von Rantzau, eindeutig die Führungsposition beanspruchte und darum stets kämpfte, wurde unter Oberin z. St.-W. die Zuständigkeit des Hausgeistlichen innerhalb der Gesamtleitung aufgewertet, entsprechend dem Kaiserswerther Vorbild. Pastor Ferdinand Schultz, “Bethaniens” erster Hausgeistlicher, wußte durchaus, daß juristisch gesehen sein Platz an der Seite der Vorsteherin des Diakonissenhauses war, seine Interpretation dieser Beratertätigkeit jedoch lautete (patriarchalisch) unverblümt: – “Es ist unmöglich, daß eine Frau eine Anstalt wie Bethanien leiten kann ohne männlichen Beistand, auf dem sie sich stützt, und es sind nicht persönliche Eigenschaften der jetzigen Oberin…, die das bedingen, sondern es liegt in der Natur der Sache… Ja ich gehe mit vollem Bedacht noch einen Schritt weiter und sage: ‘Der Pastor eines Diakonissenhauses ist nicht bloß die Stütze der Oberin, sondern er ist der Halt des Hauses, und wenn er das nicht sein kann, so wird das Haus haltlos und fällt auseinander” (zit. n. Röper 1997, S. 150). – Als im Jahre 1864 der deutsch-dänische Krieg ausbrach, erging an das Diakonissenhaus Bethanien die Bitte, doch zu helfen und Schwestern zur Pflege der Verwundeten und Strebenden zu entsenden. Damit begann für die Oberin eine rastlose Zeit. Sie selbst reiste bereits am 31. Januar 1864 mit zwei Diakonissen nach Altona, um dort zusammen mit ihrem Bruder Eberhard z. St.-W., Kanzler des Johanniterordens, und dessen Ehefrau Marie, geb. Prinzessin Reuß, dem Grafen Ernst zur Lippe-Weißenfels und zwei in der Krankenpflege ausgebildeten Brüdern des Hamburger “Rauhen Hauses”, das erste Johanniter-Kriegslazarett zu errichten. Und ihr folgten immer neue Diakonissen aus Bethanien und Kaiserswerth und den anderen Häusern der evangelischen und katholischen Schwesternschaften: – “Die schwere Arbeit begann am 6. Februar 1864 mit acht verwundeten österreichischen Soldaten. Natürlich wurde kein Unterschied zwischen Freund und Feind, Preußen, Österreichern und Dänen gemacht. Diakonissen, Johanniter und freiwillige Krankenpfleger trugen das rote Kreuz als Zeichen der Unverletzlichkeit am Arme. Bald füllte sich das Lazareth in Altona, und mit dem Vorrücken des Kriegsschauplatzes wurde ein neues mit 50 Betten zu Flensburg gegründet. Nach Flensburg begab sich die Oberin mit neun Diakonissen. Zuletzt war sie mit 20 derselben und sechs freiwilligen Kriegsschwestern in den Lazarethen auf dem Kriegsschauplatze, kehrte aber nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen nach Bethanien zurück, wie dieses Haus, das auch zum Kriegslazareth geworden war, ihrer Anwesenheit dringend bedurfte. Beim böhmischen Feldzuge 1866 brachte sie ihre Diakonissen nach Görlitz, kehrte aber bald nach Berlin zurück, wo wieder große Anforderungen an sie gestellt wurden. Die gnädige Absicht König Wilhelm’s, die aufopfernden Diakonissen durch eine Kriegsdenkmünze auszuzeichnen, lehnte sie dankbar ab”e; (Jacobs 1893, S. 374 f). – Auf das Kriegsjahr 1866 folgte eine große Hungersnot und tausende von Menschen wurden im Königreich Preußen vom Hungertyphus dahingerafft. Die mörderische Seuche wütete vor allem in Ostpreußen, besonders in Masuren, sowie in Gerdauen, Bartenstein und in dem kleinen armen Städtchen Rhein. In letztgenannte Stadt reiste die Gräfin Anfang des Jahres 1868 mit zwei Mitschwestern, während sie zwei weitere Diakonissen in die Johanniterlazarette nach Gerdauen und Bartenstein sandte. Die erbärmlichen Zustände in Rhein, die jeder Beschreibung spotteten, bewegten die Oberin aufs Tiefste. “Das Herz stand mir still, als ich zuerst in diese Pesthöhlen trat – solche menschliches Elend habe ich noch nie gesehen!” (zit. n. Wellmer 1870, S. 124), äußerte sich später Mutter Anna. Trotzdem blieb sie stark und arbeitete mit ihren Diakonissen selbstaufopfernd Tag und Nacht. Neben ihrem unermüdlichen Einsatz im Lazarett scheute z. St.-W. nicht davor zurück, die feuchten, finsteren und stickigen Wohnungen der ärmsten Bevölkerung aufzusuchen “und sorgte trotz des oft kaum glaublichen Widerstandes der in Unreinlichkeit und Unwissenheit aufgewachsenen Bewohner für schnelle Absonderung der Kranken von den Gesunden, für Reinigung der Wohnräume, für frische Luft und die beim Hungertyphus so überaus wohltätige Wärme durch Heizung. Besonders sträubten sich Männer und Weiber gegen das Oeffnen der Fenster und Thüren, die sonst den ganzen Winter über ängstlich verschlossen gehalten werden. Erst wenn die Kranken im Sterben lagen, duldeten die Angehörigen ihren Transport in das mit wahrhaft kindischen Entsetzen angestarrte Lazareth der fremden ‘weißen Frauen’ (Wellmer 1870, S. 125 f). – Nur vier Tage hatte die Oberin Zeit, in Rhein eine geordnete Lazarettpflege aufzubauen, dann mußte sie wieder nach Berlin zurückkehren und berichtete alsbald Preußens Königin Augusta von ihren tragischen Erlebnissen. Wenige Tage später erkrankte z. St.-W. schwer und die ersten äußeren Zeichen einer Fleckentyphusinfektion traten auf. Mutter Anna starb am 17. Februar 1868 im Hause Bethanien. Zur Begräbnisfeier erschienen, neben der 81-jährigen Mutter sowie weiteren Familienangehörigen, hochrangige Persönlichkeiten der preußischen Kirche und des preußischen Staates sowie des königl. Hofes u. a. König Wilhelm II. und seine Gemahlin Königin Augusta, ebenso die Königin-Witwe Elisabeth, die von Anfang an das Diakonissenhaus Bethanien ideell wie finanziell unterstützte. Der Hausgeistliche der Diakonissenanstalt, Ferdinand Schultz, würdigte die Verstobene wie folgt: – “Dreizehn volle Jahre hat sie das Amt als unsere Oberin mit Dransetzung aller ihrer Kraft und unter dem sichtbaren Segen des Allmächtigen verwaltet. Was ihre Vocation ihr auferlegte, hat sie gehalten – wir sind die Zeugen! Sie hat es nicht leicht gehabt. Der Grundzug ihres Wesens war demüthiges Dienen. Da war sie stark und tapfer, alles Regieren wurde ihr schwer und ängstigte sie. Dem Kleinen und Einzelnen nachzugehen, war ihre Lust, das ganze ordnend und beherrschend zu verfolgen, mußte sie sich immer erst erringen und erbitten. Und doch habe ich an ihr die Wahrheit des alten Wortes tiefer verstehen gelernt: Wer dient – der regiert! Ihr Einfluß ist ein großer gewesen, wir fühlen es an der Lücke, die sie hinterlassen hat …, sie diente vor allem dem Herrn, und darum hat er sie gesegnet. Sein Wort war ihr täglich Brot, diese Kirche ihre Freude und, wenn sie fern sein mußte, ihre Sehnsucht. Sie hat mit ganzer Seele an dem Werk gehangen, das ihr befohlen war, und ihr Amt ist ihre Freude gewesen und Bethanien der liebste Ort, ihre Heimat auf Erden, die sie mit keiner anderen vertauscht hätte” (zit. n. Wellmer 1870, S. 84 f). Beigesetzt wurde Mutter Oberin z. St.-W. auf dem kleinen “Luisenstädtischen Kirchhofe”.

Archiv: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen.

Lit. (Ausw.): Wellmer, A.: Anna Gräfin zu Stolberg-Wernigerode. Oberin von Bethanien. Ein Lebensbild aus unseren Tagen, Bielefeld/Leipzig 1870; – Kneschke, E. H. (Hrsg.): Deutsches Adels-Lexicon, Neunter Band. (Steinhaus-Zwierlein.), Leipzig 1870; – Jacobs, E.: Stolberg-Wernigerode: Anna, in: Historische Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Allgemeine Deutsche Biographie. Sechsunddreißigster Band. Steinmetz-Stürenburg, Leipzig 1893, 373 ff.; – Hoppe, Th.: Die ersten 25 Jahre. Geschichte der Diakonissenanstalt “Oberlinhaus” zu Nowawes, Nowawes 1899; – Salomon, A.: Die Frau in der sozialen Hilfstätigkeit, in: Lange, H./Bäumer, G. (Hrsg.): Handbuch der Frauenbewegung. II. Teil. Frauenbewegung und soziale Frauenthätigkeit in Deutschland nach Einzelgebieten, Berlin 1901, 78 ff.; – Röper, U.: Mariane von Rantzau und die Kunst der Demut. Frömmigkeitsbewegung und Frauenpolitik in Preußen unter Friedrich Wilhelm IV., Stuttgart/Weimar 1997; – Wolff, H.-P. (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. “Who was who in nursing history”e;, Berlin/Wiesbaden 1997, 199.

Manfred Berger

Literaturnachtrag:

2008

Jan Habermann, Die Grafen von Wernigerode. Herrschaftsprofil, Wirkungsbereich u. Königsnähe hochadliger Potentaten am Nordharz im späten Mittelalter. Norderstedt 2008; –

2009

Konrad Baumgartner, Johann Michael Sailer (1751-1832) u.d. Gräfl. Familie zu Stolberg-Wernigerode. Eine geistl. Freundschaft, in: BGBR 43.2009, S. 185-205; –

2010

Stolberg 1210 – 2010. Zur achthundertjähr. Geschichte d. Geschlechts. Hrsg. Philipp Fürst zu Stolberg-Wernigerode und Jost-Christian Fürst zu Stolberg-Stolberg. Dößel 2010.

Letzte Änderung: 17.11.2010